Page 26 - Ärzteblatt Sachsen, Juni-Ausgabe 2024
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ORIGINALIE
Opium und Cannabis –
zwei Panaceae in der Schmerztherapie?
1
R . Sabatowski , G . Goßrau , R . Scharnagel 1, 2
1, 2
Einleitung
Ende des 20 . Jahrhunderts begann der
Siegeszug der Opioide in der Schmerz-
therapie . Noch bis weit in das späte
20 . Jahrhundert wurden diese Substan-
zen fast ausschließlich zur Behandlung
von Tumorschmerzen eingesetzt . Im
Verlauf kam es dann zu einer Auswei-
tung des Indikationsspektrums, das zu
einem immensen Bedeutungsgewinn
in weiten Bereichen der Schmerzthera-
pie führte, der – im Nachhinein betrach- © 2019 Radovan1/shutterstock
tet – durchaus auch kritisch zu bewer-
ten ist .
Opium hat kultur- und medizingeschichtlich eine ebenso lange Tradition wie Cannabis
Vor wenigen Jahren rückten dann auch
die Cannabinoide wieder in den Fokus Kapitel 1 1817 – 1884) in den 1850er Jahren wur de
der medizinischen Anwendung und „Opium! dread agent of unimaginable plea- in den großen Kriegen in Nordamerika
ihnen wird eine hohe Bedeutung unter sure and pain!“ (Thomas de Quincey) [1] (Amerikanischer Bürgerkrieg; 1861 –
anderem in der Behandlung unter- 1865) und Zentraleuropa (Deutsch-
schiedlichster Schmerzsyndrome zuge- Um die durchaus auch tragischen Französischer Krieg; 1870/71) in der
sprochen . Aspekte des Einsatzes von Opium und Behandlung der Verwundeten die sub-
seinen Derivaten zu verstehen, ist ein kutane Morphinapplikation mit breiter
In diesem Beitrag sollen problemati- Blick in die Medizingeschichte hilfreich . Akzeptanz eingesetzt . Dies wurde
sche Mechanismen, die den Einsatz Opium, der getrocknete Saft der Schlaf- durch die Vorstellung begünstig, dass
von Opioiden begünstigten, und gleich- mohnkapsel, wurde zwar schon seit es bei der subkutanen im Gegensatz zu
zeitig vergleichbare Tendenzen bei der vielen tausend Jahren in unterschiedli- der oralen Verabreichung von Morphin
Etablierung von Cannabinoiden aufge- chen Kombinationen, Anwendungsge- keine unangenehmen Nebenwirkungen
zeigt werden, sodass die Leserinnen bieten und Kulturen eingesetzt, unser gebe [3] . T . L . Brunton be richtete 1899
und Leser ermutigt werden, sich aus moderneres Verständnis dieser Sub- von einer Beobachtung, die er bei
einer medizinisch eher unüblichen Per- stanz beginnt aber erst im 19 . Jahrhun- einem befreundeten Arzt aus Bonn ge -
spektive mit diesem Thema kritisch dert mit dem Pharmazeuten Friedrich macht hatte .
auseinanderzusetzen . Wilhelm Adam Ferdinand Sertürner Prof . Binz „went about armed with
(1783 – 1841), dem es 1805 als erstem a bottle of morphine solution and
gelang, aus dem Opium das Alkaloid a hypodermic syringe, and before a
1 UniversitätsSchmerzCentrum, Morphin, den schlaffördernden Faktor (wounded) man was removed he gave
Universitätsklinikum und Medizinische („principium somnifernum”), zu isolie- him a subcutaneous injection, which
Fakultät „Carl Gustav Carus“, ren [2] . Nur drei Jahrzehnte später put the man to sleep, prevented any
Technische Universität Dresden (1840) begann die Firma Merck & Co . pain […] so that the patient was in a
2 Klinik für Anästhesiologie und Intensiv- aus Darmstadt mit dessen industrieller better condition” [4] . Diese Erfahrun-
therapie, Universitätsklinikum und Produktion . Mit Einführung der Hohl- gen und Einstellungen blieben jedoch
Medizinische Fakultät „Carl Gustav nadeln (Charles Gabriel Pravaz; 1831 – nicht ohne negative Folgen: So stellte
Carus“, Technische Universität Dresden 1892) und Spritzen (Alexander Wood; man fest, dass es nach der abgeschlos-
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