Page 11 - Ärzteblatt Sachsen, Juni-Ausgabe 2024
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BERUFSPOLITIK
rung einer durch besonderes Vertrauen Grundlegend sind insoweit die Ausfüh-
geschützten Arzt-Patient- und Anwalt- rungen des Bundesverfassungsgerichts .
Mandant-Beziehung verbunden, die die In seinen Entscheidungen zum Fach-
Berufe zu Vertrauensberufen macht . arztwesen im Jahr 1972 sowie zum
Berufsrecht der Rechtsanwälte im Jahr
Dieser Status ist inhaltlich und funktio- 1987 wird deutlich gemacht, dass unter
nal eng verbunden mit der Errichtung dem Grundgesetz die wesentlichen
der Berufskammern, die in Preußen Regelungen in Bezug auf den Zugang
ab 1865 erfolgte . In der vordemokrati- zu einem Beruf durch den parlamenta-
schen, konstitutionellen Verfassungs- rischen Gesetzgeber selbst geregelt
ordnung konnte der Berufsstand ein werden müssen (sogenannter Parla-
Berufsrecht als Standesrecht entwi- mentsvorbehalt) mit der Folge, dass die
ckeln, durch das die Pflichten gegen- Berufskammern durch hinreichend be -
über dem Einzelnen und der Gesell- stimmte Normen in den Berufsgeset-
schaft konkretisiert wurden . Standes- zen allenfalls zur Regelungen der fach-
recht bedeutet in diesem Zusammen- © SLÄK lichen Einzelheiten ermächtigt werden
hang, dass die Mitglieder der Berufs- Prof . Dr . Winfried Kluth, Halle (Saale), hielt den dürfen . Nicht der Berufsstand, sondern
kammer, die ja den Berufsstand voll- Festvortrag zu Ehren und im Gedenken an das demokratisch allein für gewichtige
ständig repräsentieren, für sich selbst Prof . Dr . med . habil . Heinz Diettrich . Grundrechtseingriffe legitimierte Par-
verbindliche Regeln erlassen, die als Teil len, Leiden zu lindern, Sterbenden Bei- lament ist demnach regelungsbefugt
des staatlichen Rechts durchsetzbar stand zu leisten und an der Erhaltung und kann einen Teil dieser Regelungs-
sind . Das ist auch der Grund, warum der natürlichen Lebensgrundlagen im befugnis auf die Berufskammern dele-
Selbstverwaltung als Autonomie be - Hinblick auf ihre Bedeutung für die Ge - gieren, die davon in den Berufsordnun-
zeichnet wurde und wird . Es handelt sundheit der Menschen mitzuwirken .“ gen Gebrauch machen .
sich dabei allerdings nicht um jene Aus der Sicht der Verfassung ist damit
Verbandsautonomie, über die private Es muss nicht hervorgehoben werden, keine Schwächung, sondern eine Stär-
Verbände verfügen, deren Gründung dass die gegenderte Ausdrucksweise kung der Berufskammern und des Be -
und Handeln Ausdruck des Grund- und der Verweis auf die natürlichen rufsrechts verbunden, denn es kann
rechtsgebrauchs sind . Die Berufskam- Lebensgrundlagen seinerzeit noch jetzt nicht mehr als Standesrecht unter
mern als Körperschaften des öffentli- nicht anzutreffen waren . Das zeigt nur, einen Kartellvorbehalt gestellt werden .
chen Rechts üben Staatsgewalt aus dass auch in den Berufskammern die Zudem ist sein Geltungsanspruch da -
und ihre Autonomie ist eine besondere Zeit nicht stehen bleibt . durch gestärkt und nicht geschwächt
Form der Eigenständigkeit innerhalb worden .
des Staates, die durch den gesetzlichen Vom Standesrecht zum parlamen-
Errichtungsakt zugleich begründet und tarisch fundierten Berufsrecht Das gilt auch für das Selbstverständnis
begrenzt wird . Juristisch ist mit dem Übergang zum der ärztlichen Selbstverwaltung insge-
Das ist bis heute in der vom Deutschen demokratischen Verfassungsstaat, der samt . Diese ist kein korporatistischer
Ärztetag beschlossenen Musterberufs- ja rechtlich 1919 mit der Weimarer Fremdkörper im demokratischen Ver-
ordnung niedergelegt und fand bereits Reichsverfassung erfolgte, aber erst fassungsstaat, sondern Ausdruck einer
damals, anknüpfend an noch ältere nach 1949 gründlich für alle Bereiche spezifischen Entfaltung des Demokra-
berufsrechtliche Traditionen, Eingang in des Staatswesens durchdekliniert wur- tieprinzips . Wie das Bundesverfas-
das Berufsrecht . Danach gilt: de, auch eine durchaus fundamentale sungsgericht in seiner Rechtsprechung
„(1) Ärztinnen und Ärzte dienen der Neuordnung des Berufsrechts verbun- betont, kann unter anderem für den
Gesundheit des einzelnen Menschen den gewesen . Gemeint ist damit der Bereich der Berufskammern „von dem
und der Bevölkerung . Der ärztliche Be - Übergang vom durch den Berufsstand Erfordernis lückenloser personeller Le -
ruf ist kein Gewerbe . Er ist seiner Natur legitimierten Standesrecht zu dem vom gitimation abweichende Formen der
nach ein freier Beruf . parlamentarischen Gesetzgeber erlas- Beteiligung von Betroffenen an der
(2) Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte ist senen und nur in Bezug auf die Ausge- Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben
es, das Leben zu erhalten, die Gesund- staltung an die Berufskammern dele- gebilligt werden, wenn dies ausgegli-
heit zu schützen und wiederherzustel- gierten Berufsrecht . chen wurde durch eine stärkere Gel-
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